Geschwister – ein starkes Team

Wenn Bruder oder Schwester chronisch krank sind

In Deutschland leben rund zweieinhalb Millionen Kinder, deren Bruder oder Schwester schwer chronisch krank ist oder eine Behinderung hat. Die Krankheit bzw. Behinderung ist Teil ihres Familienalltags. Die große Mehrheit der gesunden Kinder lernt, mit dieser besonderen Situation umzugehen, und fühlt sich wenig beeinträchtigt. Dennoch sollte man nicht unterschätzen, dass die Versorgung und Betreuung eines kranken Kindes nicht nur den Eltern, sondern auch den gesunden Geschwistern einiges abverlangt.

Der kleine Bruder hat die ganze Nacht kaum geschlafen, weil ihn wieder einmal ein heftiger Neurodermitisschub quält. Entsprechend angespannt ist die Stimmung am Frühstückstisch. Die Eltern überlegen, wann sich ein Arztbesuch am besten in die Tagesplanung einbauen lässt. Klar versteht man als große Schwester all diese Nöte. Trotzdem wäre es schön gewesen, wenn ihr die Eltern viel Glück für die heutige Mathearbeit gewünscht hätten.

Die Situation beschreibt, was es bedeuten kann, mit einem schwer chronisch kranken oder behinderten Geschwisterkind aufzuwachsen. Schon früh wird man üben müssen, Verständnis zu haben und Rücksicht zu nehmen, denn zwangsläufig steht immer wieder die Krankheit bzw. Behinderung im Mittelpunkt. Die beeinträchtigte Schwester oder der beeinträchtigte Bruder braucht mehr Fürsorge, beansprucht viel Zeit und Kraft der Eltern, so dass die gesunden Geschwister häufiger mal zurückstecken müssen. Oftmals sind durch die Erkrankung bzw. Behinderung feste Tagesabläufe und Regeln vorgegeben, die die gesamte Familie und das Zusammenleben betreffen. Bei Urlauben und gemeinsamen Unternehmungen kann es krankheitsbedingte Einschränkungen geben. Manches muss womöglich aufgrund von Krankheitsschüben kurzfristig ausfallen oder umgeplant werden. Das ist für alle eine Herausforderung und nicht nur Kindern fällt es schwer, ggf. eigene Wünsche hintanzustellen.

Schwere chronische Erkrankungen und Behinderungen im Kindesalter

Zu den chronischen Erkrankungen im Kindesalter, die schwere Verläufe haben und den Alltag extrem beeinträchtigen können, zählen u. a. Allergien, Erkrankungen der Atemwege (z. B. Asthma), Erkrankungen der Haut (z. B. Neurodermitis), chronische Entzündungen, Diabetes, Herzfehler, Epilepsien, ADHS, Depressionen, Krebs und chronische Infektionskrankheiten sowie Erkrankungen von Organen oder des Bewegungsapparates.

Behinderungen in der Kindheit sind u. a. schwere Hörschäden, schwere Beeinträchtigung der Sehkraft, Zerebralparese (Bewegungsstörungen und Muskelsteife), Down-Syndrom und Spina bifida.

Umsichtig und eigenständig

Zwischen 2 und 3 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland leben in solchen besonderen Familienumständen. Das kann stark und selbstbewusst machen und die Eigenständigkeit fördern. Auffallend viele Kinder, die schwer kranke bzw. behinderte Geschwister haben, zeigen schon sehr früh ein äußerst umsichtiges und reifes Verhalten und entwickeln eine bemerkenswerte Sozialkompetenz. Doch dieser Entwicklungsprozess ist weder ein Selbstläufer noch geht er reibungslos vonstatten.

Die Gefahr, dass gesunde Geschwisterkinder überfordert werden und zu früh zu viel Verantwortung tragen, ist hoch. Zumal viele von ihnen ihren Eltern keinen zusätzlichen Kummer machen wollen und daher gut zu verbergen wissen, was sie bedrückt. Denn natürlich brauchen auch sie die Aufmerksamkeit der Eltern und wollen, dass ihre Bedürfnisse wahrgenommen werden. Sie benötigen Freiräume, wo sie mal keine Rücksicht auf die Krankheit bzw. Behinderung des Bruders oder der Schwester nehmen müssen – und das ganz ohne schlechtes Gewissen. Manchmal braucht es auch ein Ventil, um die vielen unterschiedlichen Gefühle rauszulassen. Viele Geschwisterkinder durchleben ein Durcheinander aus Traurigkeit, Mitgefühl, Gereiztheit, Wut und Eifersucht auf Bruder oder Schwester, was wiederum mit Schuldgefühlen verbunden sein kann. Hinzu kommen die üblichen Gefühlsschwankungen von Heranwachsenden. All das muss verarbeitet werden.

Hilfe für Geschwisterkinder

Eltern bemerken u. U. nicht sofort, wie sehr die Situation ihre gesunden Kinder umtreibt. Wie aus heiterem Himmel kann es dann zu emotionalen Ausbrüchen, manchmal auch zu aggressivem Verhalten kommen. Andere Kinder werden ganz still und reagieren mit extremem Rückzug. Weitere typische Verhaltensmuster sind Interesselosigkeit und Leistungsschwankungen in der Schule. Um diese Entwicklung zu verhindern, gibt es bei anhaltenden familiären Belastungen Unterstützungsangebote für die Kinder. Sie ermöglichen den Kindern, hin und wieder Abstand zum Familienalltag zu bekommen. Speziell für Geschwisterkinder von kranken und behinderten Kindern gibt es bundesweit zahlreiche solcher Angebote. So werden z. B. Geschwistertage und Geschwisterferiencamps veranstaltet, wo die Kinder gemeinsam ungezwungen Freizeit verbringen, ohne dass sich alles um Krankheit bzw. Behinderung dreht. Bei Bedarf können die Kinder auch Erfahrungen teilen. Der Austausch zeigt ihnen, dass es jemanden gibt, der ihre Sorgen und Nöte versteht, und dass es helfen kann, über diese Gefühle und Probleme zu reden. Zudem gibt es therapeutische Angebote für Kinder wie z. B. Entspannungs- oder Kunsttherapie. Sie können dazu beitragen, auftretende psychische Belastungen der Geschwisterkinder zu vermindern. Ziel all dieser Veranstaltungen ist es, das Selbstbewusstsein der Kinder zu verbessern und die Beziehung zu den kranken Geschwistern und den Eltern zu stärken.

Hilfe für Eltern

Vielen betroffenen Eltern ist bewusst, dass ihre gesunden Kinder häufig zurückstecken müssen. Oft schleicht sich neben dem schlechten Gewissen die Sorge ein, dass sie die Gelegenheit verpassen, eine gute und vertrauensvolle Beziehung zu den gesunden Kindern aufzubauen. Eine verlässliche Strategie, wie man allen Familienmitgliedern gleichermaßen gerecht werden kann, gibt es nicht. Eltern werden immer wieder an Grenzen stoßen, weil die Bedürfnisse ihrer Kinder so unterschiedlich sind, aber auch, weil die eigenen Kräfte nicht ausreichen und es zudem schlichtweg an Zeit fehlt. Daher ist es sinnvoll, dass auch Eltern Unterstützung von außen annehmen. Das kann ganz praktische Hilfe, z. B. im Haushalt oder bei Erledigungen, sein, um mehr Zeit zu haben. Außerdem gibt es sozialpädagogische Hilfen für Familien.

Für die meisten ist es eine gute Erfahrung, sich mit anderen auszutauschen, die in einer ähnlichen Situation sind. So, wie es Geschwistertage gibt, gibt es auch Elterntreffs für Eltern kranker bzw. behinderter Kinder. Darüber hinaus werden von verschiedenen Vereinen und Institutionen spezielle Eltern- und Familienseminare angeboten, in denen auf die besondere Familiensituation eingegangen wird. Auch dort stehen die Geschwisterkinder im Mittelpunkt. Eltern erhalten u. a. Hinweise und Tipps, wie sie ihre gesunden Kinder unterstützen, ihnen wertvolle Zeit schenken, eine Basis für vertrauensvolle Gespräche schaffen und ihre selbstbewusste Entwicklung fördern können.

Weitere Informationen und Angebote zur Unterstützung von Geschwistern und Eltern chronisch kranker oder behinderter Kinder finden Sie z. B. auf den folgenden Seiten im Internet:

  • www.geschwisterkinder-netzwerk.de
    Das Geschwisterkinder Netzwerk ist ein Projekt des Netzwerks für die Versorgung schwerkranker Kinder und Jugendlicher e.V. Sie finden auf der Website des Netzwerk-Vereins (www.betreuungsnetz.org) Angebote wie Geschwister-Gruppen, Geschwister-Tage und Geschwister-Feriencamps in Niedersachsen sowie viele Tipps und Infoblätter für Geschwister und Eltern (s. Kasten unten). Zudem gibt es die Aktion „Wunschzettel für Geschwisterkinder“. Zusammen mit Aktion Kindertraum erfüllt das Geschwisterkinder-Netzwerk Herzenswünsche von Geschwisterkindern. Mehr dazu unter: www.geschwisterkinder-netzwerk.de/angebot/fuer-geschwister/wunschzettel-aktion.html
  • www.stiftung-familienbande.de
    Neben umfangreichen Informationen zum Thema finden Sie eine Angebotssuche mit bundesweit mehr als 350 Angeboten zur Geschwisterbegleitung. Der Ratgeber „Ich bin auch noch da!“ richtet sich an Eltern von chronisch kranken und/oder behinderten Kindern und zeigt die verschiedenen Aspekte der besonderen Familiensituation auf. Der Ratgeber kann auf der Seite kostenfrei heruntergeladen werden: www.stiftung-familienbande.de/service/elternratgeber.html
  • www.kindernetzwerk.de
    Das Kindernetzwerk ist der Dachverband der Selbsthilfe von Familien mit Kindern und jungen Erwachsenen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen. Auf der Seite finden Sie unter dem Menüpunkt knwaktiv Hilfe zur Selbsthilfe – Geschwister Selbsthilfe weitere Links und Literaturhinweise zum Thema.
Tipps für Geschwister

Deine kranke Schwester oder dein kranker Bruder braucht viel Aufmerksamkeit. Das heißt aber nicht, dass du nicht wahrgenommen wirst und du deine Wünsche und Bedürfnisse zurückstecken musst.

Erlebe dein Hobby! Jeder hat unterschiedliche Interessen und Talente, und es ist wichtig, dass du etwas findest, was dir Spaß macht, und dass du Zeit für dich hast. Egal ob du in einem Sportverein aktiv bist, dich kreativ austobst, gerne Bücher liest oder dich sozial engagierst.

Sprich über das, was dich beschäftigt! Wenn du etwas besprechen möchtest oder auf dem Herzen hast und nicht mit deinen Eltern sprechen kannst oder willst, suche dir andere Unterstützung. Vielleicht gibt es in deiner Familie andere Personen, mit denen du reden kannst und möchtest, z. B. Oma oder Opa.

Triff andere Geschwister, die deine Situation kennen! Es gibt Gruppen, in denen sich andere Kinder und Jugendliche treffen, die eine ähnliche Lebenssituation haben wie du. Dort könnt ihr euch austauschen, neue Freunde finden und Spaß haben.

Weitere Tipps und Ansprechpartner findest du beim Geschwisterkinder-Netzwerk: www.geschwisterkinder-netzwerk.de

Tipps für Eltern

Sie als Eltern wollen allen Ihren Kindern gerecht werden. Aber Ihr krankes oder behindertes Kind benötigt sehr viel mehr Zeit und Aufmerksamkeit. Viele Eltern haben Sorge, dass sich ihre gesunden Kinder zurückgesetzt fühlen.

Versuchen Sie, regelmäßig Zeit mit jedem Kind einzeln zu verbringen. Es ist dabei gar nicht entscheidend, was Sie gemeinsam unternehmen oder wie lange Sie das tun. Wichtig ist, dass Ihr Kind in dieser Zeit Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit erfährt.

Reden Sie offen mit Ihren Kindern, auch wenn diese noch jung sind. Ihre Offenheit ist sehr wichtig für die Entwicklung Ihrer Kinder und Ihre gemeinsame Beziehung. Auch die Erkrankung oder der Gesundheitszustand des Bruders oder der Schwester sollten altersentsprechend thematisiert werden. Ihre Offenheit ist die Grundlage für einen vertrauensvollen Umgang innerhalb Ihrer Familie.

Lassen Sie die Geschwister entscheiden, wie viel Zeit sie miteinander verbringen möchten. Wenn die Kinder gemeinsam Zeit verbringen, können Sie ihnen Spiele zeigen, die sie miteinander spielen können, und ihnen so die gemeinsame Zeit verschönern.

Achten Sie darauf, dass das Geschwisterkind nicht über die Belastungsgrenze hinaus in die Pflege und Verantwortung für das erkrankte/behinderte Kind einbezogen wird.

Erlauben Sie den Geschwistern, Spaß zu haben und ihr eigenes Leben zu leben. Ermutigen Sie Ihre Kinder, eigene Träume zu verwirklichen. Es ist sehr wichtig, dass das Geschwisterkind auch außerhalb der Familie Erfahrungen sammelt. Eigene Interessen, Hobbys und Freunde sind wichtig für die Entwicklung eines gesunden und stabilen Selbstwertgefühls.

Holen Sie sich Unterstützung. Ihre Lebenssituation stellt hohe Anforderungen an Sie und fordert Sie ganz besonders heraus. Sie müssen nicht alle Fragestellungen und Probleme des Geschwisterkindes allein lösen und bearbeiten. Es gibt Fachkräfte, die Sie zu den unterschiedlichsten Themen und Bereichen professionell beraten können. Suchen Sie sich Hilfe bei Themen wie z. B. Schlafstörungen, Mobbing oder schulischen Problemen des Geschwisterkindes.

Weitere Tipps und Ansprechpartner finden Sie beim Geschwisterkinder-Netzwerk: www.geschwisterkinder-netzwerk.de

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