Ursächliche Behandlung der Allergie

Bei manchen Allergenen, insbesondere solchen, die über die Luft transportiert werden, ist es schlichtweg unmöglich, ihnen vollständig aus dem Weg zu gehen. Für viele Menschen bedeutet das: Sie müssen sich immer wieder auf allergischen Schnupfen, Augenjucken oder Atembeschwerden einstellen und dann zu Medikamenten zur Symptomlinderung greifen. In manchen Fällen kann daher eine Allergen-Immuntherapie sinnvoll sein. Sie ist die einzige Möglichkeit, die Allergie ursächlich zu behandeln.

Juckende und tränende Augen, Fließschnupfen, Niesattacken – die Symptome des allergischen Schnupfens begleiten Pollenallergiker durch Frühjahr und Sommer. Jetzt kommt die Zeit zum Durchatmen. Denn spätestens ab Oktober sind nur noch vereinzelte Pollen von z. B. Gräsern oder Beifuß unterwegs und allergische Beschwerden sind kaum mehr zu erwarten. Für manche Baumpollenallergiker währt die Schonfrist allerdings nicht allzu lange. Je nach Witterungslage stehen bereits ab Ende Dezember Hasel und Erle in Blüte. Da kann man nur hoffen, dass im nächsten Jahr der Pollenflug weniger heftig ausfällt und die Saison besonders kurz ist. Man kann auf die Medikamente vertrauen, die die entzündungsfördernden Stoffe blockieren und so die Allergiesymptome lindern – oder man wappnet sich, indem man versucht, den Körper an die Allergene zu gewöhnen, so dass die allergische Reaktion weniger heftig ausfällt. Letzteres ist das Prinzip der Allergen-Immuntherapie (AIT), auch spezifische Immuntherapie (SIT) oder Hyposensibilisierung genannt. Sie ist bislang die einzige Therapie, die nicht die Symptome behandelt, sondern im Vorfeld das Immunsystem beeinflusst, damit die Krankheitszeichen gar nicht erst – oder deutlich abgeschwächt – auftreten.

Ziele der AIT
  • Anhaltende immunologische Toleranzentwicklung
  • Weniger Allergiesymptome
  • Geringerer Bedarf an antiallergischen Medikamenten
  • Langfristiger Behandlungserfolg
  • Positive Einflussnahme auf den Krankheitsverlauf (weniger Asthmaentwicklung)
Bewährtes Prinzip

Die Allergen-Immuntherapie ist kein neues Behandlungsverfahren. Ihre Ursprünge liegen mehr als 100 Jahre zurück. Heute hat man allerdings bessere diagnostische Möglichkeiten und standardisierte Allergenextrakte für die Therapie. Um das Prinzip Allergen-Immuntherapie besser zu verstehen, sei kurz der Ablauf einer allergischen Reaktion skizziert: Bestandteile von Pollen, Hausstaubmilben oder auch Tierhaaren schweben in der Atemluft und gelangen so in die Atemwege. Das ist normalerweise völlig unbedenklich. Bei manchen Menschen reagiert das Immunsystem aus bislang noch ungeklärten Gründen jedoch unangemessen auf diese Fremdstoffe. Aufgabe des Immunsystems ist es, schädliche Mikroorganismen, die in den Körper eindringen, zu erkennen und abzuwehren. Im Falle einer Allergie stuft es jedoch die an sich harmlosen Substanzen als gefährlich ein und bildet spezifische Antikörper gegen diese dann als Allergene bezeichneten Substanzen. Eine solche „Sensibilisierung“ geschieht zunächst völlig unbemerkt. Doch nun ist das Immunsystem in Alarmbereitschaft. Beim nächsten Kontakt kann das betreffende Allergen dank der spezifischen Antikörper sofort vom Immunsystem erkannt und gezielt abgewehrt werden. Diese Immunreaktion macht sich mehr oder weniger als Entzündung bemerkbar. Abhängig vom Ort des Geschehens, kommt es zu allergischem Schnupfen, Niesattacken, tränenden Augen oder auch lokalen Hautreaktionen.

Indikation für den Einsatz einer AIT

Ob eine Allergen-Immuntherapie infrage kommt oder nicht, kann nur ein allergologisch qualifizierter Facharzt entscheiden. Bei inhalativen Allergenen ist der Einsatz einer AIT angezeigt – man bezeichnet dies als Indikation –, wenn folgende Punkte zutreffen:

  1. Es kommt wiederkehrend oder anhaltend zu moderatem bis schwerem allergischen Schnupfen (Rhinokonjunktivitis) und/oder es liegt zumindest teilkontrolliertes allergisches Asthma vor.
  2. Durch diagnostische Tests (Hauttests, ggf. Provokationstests, spezifische IgE-Bestimmung) ist die Sensibilisierung gegenüber dem maßgeblichen Allergen nachgewiesen.
  3. Die Symptome treten trotz einer symptomatischen Therapie und/oder Maßnahmen zur Meidung der Allergene (Allergenkarenz) auf.
  4. Es gibt Wirksamkeitsnachweise für die geplante AIT entsprechend der Altersgruppe des Patienten sowie den zur Verfügung stehenden Allergenextrakten.

Außerdem ist wichtig, dass der Patient bzw. bei Kindern die Eltern bereit sind, den Therapieplan mit der langen Therapiedauer einzuhalten (Therapieadhärenz). Dies ist für den zu erwartenden Therapieerfolg von entscheidender Bedeutung.

Mögliche Kontraindikationen, also Faktoren, die gegen eine AIT sprechen, sind:
  • unkontrolliertes Asthma
  • schwerwiegende Systemreaktionen bei AIT in der Vergangenheit
  • bestimmte vorliegende Erkrankungen (z. B. maligne Erkrankungen, schwere systemische Autoimmunerkrankungen, Immundefekte, relevante Immunsuppression, chronische Infektionen)
  • unzureichende Adhärenz, schwere psychiatrische Erkrankungen
Toleranz gegenüber Allergenen

Ziel der spezifischen Immuntherapie ist es, die bestehende Sensibilisierung abzuschwächen, um so den Ablauf der durch Allergene ausgelösten Immunreaktion zu mildern und die Entzündungsreaktion zu dämpfen. Das Immunsystem soll über einen Gewöhnungseffekt lernen, die allergieauslösenden Substanzen zu tolerieren. Das geschieht, indem der Patient über einen bestimmten Zeitraum regelmäßig eine genau festgelegte Dosis und Zubereitung dieser Allergene erhält.

Subkutan und sublingual

Am häufigsten wird der Allergenextrakt in entsprechender Aufbereitung unter die Haut in den Oberarm gespritzt. Man bezeichnet dies als subkutane Immuntherapie (SCIT). In der ersten Phase der Behandlung (Initialtherapie, Dosissteigerungsphase) erhält der Patient das Allergen in aufsteigender Dosierung, bis die sogenannte Erhaltungsdosis erreicht ist. Dabei startet man die Behandlung gegen saisonale Allergene, also verschiedene Pollen, am besten so, dass die Gabe der Maximaldosis außerhalb der Allergiesaison liegt. Das genaue Dosierungsschema und die Abstände zwischen den Injektionen passt der Arzt der individuellen Patientensituation und den präparate- und herstellerspezifischen Empfehlungen an. Der Dosissteigerungsphase schließt sich die Erhaltungsphase an. Nun bekommt der Patient etwa alle vier bis sechs Wochen seine Allergenspritze. Die Dauer der Gesamtbehandlung variiert, in der Regel beträgt sie drei bis vier Jahre.

Eine Variante ist die sublinguale Immuntherapie (SLIT), die besonders z. B. bei Patienten mit Angst vor Spritzen eine Ausweichmöglichkeit bietet. Bei der SLIT werden die Allergenextrakte entweder in Form von Tropfen oder von Schmelztabletten, die man unter die Zunge legt, über die Mundschleimhaut aufgenommen. Auch hier erfolgen Medikamenteneinnahme und -dosierung nach einem zuvor festgelegten Therapieplan, die Behandlung erstreckt sich insgesamt über einen Zeitraum von etwa drei Jahren.

Wirksamkeitsnachweis und Nutzen

Die Wirksamkeit der Allergen-Immuntherapie ist für viele Allergene wie bestimmte Gräser- und Baumpollenallergene und Hausstaubmilbenallergene durch zahlreiche Studien belegt. Ein Großteil der Patienten hat anschließend für eine lange Zeit keine oder deutlich weniger Beschwerden und benötigt weniger Allergiemedikamente. Bei inhalativen Allergenen spielt die Therapie eine wichtige Rolle, denn sie trägt dazu bei, dass ein Fortschreiten der Erkrankung und der gefürchtete Wechsel der Allergie von den oberen auf die tieferen Atemwege verhindert werden. Dabei hat sich gezeigt, dass, sofern die Voraussetzungen für die AIT gegeben sind (s. Kasten S. 13), es sich günstig auswirkt, wenn frühzeitig mit der Behandlung begonnen wird. Dies erhöht die Wirksamkeit und die Chancen der Vorbeugung von Asthma. Für erwachsene Patienten mit einer bestehenden Bienen- oder Wespengiftallergie gilt die subkutane Immuntherapie als Therapie erster Wahl, da sie das Risiko eines lebensbedrohlichen Allergieschocks (Anaphylaxie) maßgeblich reduzieren kann.

Risiken und Nebenwirkungen

Bei allem Nutzen dürfen jedoch auch die Risiken der Behandlung nicht außer Acht gelassen werden. Unangenehm, aber harmlos sind lokale Reaktionen in Form von Schwellungen oder Rötungen rund um die Einstichstelle. Aber auch heftigere allergische Reaktionen und asthmaartige Symptome sind möglich. Schlimmstenfalls kann ein allergischer Schock mit Kreislaufversagen auftreten. Dieses Risiko ist sehr gering und vor allem bei der subkutan verabreichten Immuntherapie gegeben. Dennoch ist es Grund genug, die SCIT immer unter ärztlicher Kontrolle durchzuführen. Außerdem sollte der Patient zur Sicherheit im Anschluss an die Spritze mindestens 30 Minuten unter Beobachtung in der Arztpraxis bleiben. Anders sieht es bei der sublingualen Therapie aus. Hier werden nach einer einweisenden Behandlung zu Beginn die Tropfen oder Tabletten im Regelfall zu Hause eingenommen. Die Nebenwirkungen sind weniger schwerwiegend, können lokal aber ausgeprägt sein und sich als Kribbeln und Brennen auf der Zunge und im Rachen äußern. Kommt es zu diesen Symptomen, brechen einige Patienten die Behandlung ohne Rücksprache mit dem Arzt ab. Davon wird jedoch dringend abgeraten. Es sollte bei allen unerwarteten Effekten immer der Rat eines allergologisch erfahrenen Arztes eingeholt werden.

Grenzen und Perspektiven der Allergen-Immuntherapie

Die Behandlung von Nahrungsmittelallergien nach dem Prinzip der Allergen-Immuntherapie steht derzeit noch in ihren Anfängen. Das Risiko für Nebenwirkungen und schwere allergische Reaktionen scheint schwer kalkulierbar. Die Forschung hat vor allem Allergien auf Kuhmilch, Hühnerei und Erdnüsse im Visier. Eine Erdnussallergie ist besonders tückisch, da mitunter winzige Spuren von Erdnüssen ausreichen, um beim Betroffenen lebensbedrohliche Reaktionen auszulösen. Seit Ende 2020 ist in der EU eine orale Immuntherapie für Kinder zwischen 4 und 17 Jahren zugelassen, bei der die Kinder festgelegte Dosierungen von Erdnussproteinpulver erhalten. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) steht diesem Therapieansatz allerdings kritisch gegenüber. Zum einen bleibt unklar, wie lange die Therapie fortgesetzt werden muss, so dass parallel auf jeden Fall weiterhin eine erdnussvermeidende Diät eingehalten werden muss, weshalb die Patienten hier keinen Vorteil hinsichtlich verbesserter Lebensqualität haben. Zum anderen treten häufig leichte Nebenwirkungen auf, die oft zum Behandlungsabbruch führen.

Einen größeren Nutzen für die Erdnussallergiker könnte eine epikutane Immuntherapie bringen. Dabei wird das Erdnussallergen in minimaler Dosierung über ein Hautpflaster aufgenommen. In Studien konnte bei Kindern bereits eine gute Wirksamkeit gezeigt werden. Ob und wann das „Erdnusspflaster“ zum Einsatz kommen wird und ob sich dieser Therapieansatz möglicherweise auf andere Nahrungsmittelallergene übertragen lässt, ist allerdings fraglich.

Behandlungsempfehlungen

Die Allergen-Immuntherapie wird bei entsprechender Indikation zur Behandlung verschiedener allergischer Erkrankungen empfohlen. Dabei sollten stets Produkte verwendet werden, deren Wirksamkeit in klinischen Studien belegt ist. Die Empfehlungen gelten für folgende Patientengruppen:

1. Allergien der Atemwege
  • Patienten (Erwachsene sowie Kinder/Jugendliche) mit saisonalem allergischen Schnupfen (Rhinokonjunktivitis), ausgelöst durch eine Gräserpollenallergie.
  • Patienten (Erwachsene sowie Kinder/Jugendliche) mit gut oder partiell kontrolliertem saisonalen Bronchialasthma durch Gräserpollenallergie.
  • Erwachsene Patienten mit allergischer Rhinokonjunktivitis auf Baumpollen aus der Familie der Birkengewächse (Betulaceae). Dazu gehören Birke, Erle, Hainbuche, Hasel.
  • Bei Kindern und Jugendlichen mit allergischer Rhinokonjunktivitis auf Betulaceae-Baumpollen kann eine AIT durchgeführt werden.
  • Eine AIT mit anderen zu den Birkengewächsen nicht kreuzreaktiven Baumpollen kann im Einzelfall durchgeführt werden, auch wenn aufgrund der derzeitigen Studienlage aktuell keine allgemeine Empfehlung möglich ist.
  • Patienten mit allergischer Rhinokonjunktivitis, die eindeutig auf eine Hausstaubmilbenallergie zurückzuführen ist.
  • Bei Patienten mit Asthma, ausgelöst durch Hausstaubmilbenallergene, kann eine SCIT oder SLIT erfolgen. Voraussetzung hierfür ist eine zumindest partielle Asthmakontrolle. Diese soll auch im Verlauf der Therapie immer wieder überprüft werden.
  • Bei Kindern und Erwachsenen mit nachgewiesener klinisch relevanter Ragweed-Allergie und Rhinokonjunktivitis mit/ohne Asthma bronchiale soll eine SLIT mit der Ragweed-Pollenextrakt-Tablette erfolgen. Alternativ kann bei Erwachsenen eine SCIT mit einem Ragweed-Extrakt durchgeführt werden.
  • Eine AIT mit anderen Allergenextrakten (außer Gräsern, Bäumen [Betulaceae-artige], Hausstaubmilben, Ragweed) kann im Einzelfall durchgeführt werden, auch wenn aufgrund der derzeitigen Studienlage aktuell keine allgemeinen Empfehlungen möglich sind. Vor einer AIT soll die klinische Relevanz einer identifizierten Sensibilisierung und besonders bei Haustierepithel-Allergien das individuelle Nutzen-Risiko-Verhältnis sorgfältig geprüft werden.
2. Insektengiftallergie
  • Erwachsene Patienten, die auf einen Insektenstich schwere systemische Reaktionen zeigten mit Risiko für Anaphylaxie. Dabei muss nachgewiesen sein, welches Insektengift die allergische Reaktion verursacht hat.
  • Bei Kindern unter 16 Jahren kann in der Regel auf eine AIT verzichtet werden, da es bei späteren Stichen selten zu erneuten systemischen Stichreaktionen kommt. Hier sollte im Einzelfall über die Therapie entschieden werden.

Quellen: 1) Leitlinie zur Allergen-Immuntherapie bei IgE-vermittelten allergischen Erkrankungen, https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/061-004.html; 2) Leitlinie Diagnose und Therapie der Bienen- und Wespengiftallergie, https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/061-02

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