Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie (DGAKI)
Die vegane Ernährung findet aktuell eine stärkere Aufmerksamkeit denn je. Die Beweggründe, sich vegan zu ernähren, sind sehr unterschiedlich. Allerdings bringt der Verzicht auf tierische Lebensmittel auch Risiken wie die Mangelversorgung an bestimmten Nährstoffen mit sich, besonders für Kinder. Auch bei Allergikern ist Vorsicht geboten, denn die vielen industriellen Produkte im Supermarkt geben nicht immer exakt Auskunft über alle Inhaltsstoffe. Die Deutsche Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie (DGAKI) e. V. hat deshalb gerade ein Positionspapier veröffentlicht, das sich sehr detailliert mit den Vorteilen, Nachteilen und Grenzen veganer Kost auseinandersetzt. Es richtet sich sowohl an Experten aus Wissenschaft und Medizin als auch an alle, die sich vegan oder vorwiegend pflanzlich ernähren wollen.
Rund 1,6 Millionen Menschen haben sich laut einem Marktforschungsinstitut im vergangenen Jahr komplett vegan ernährt. Die Gründe sind vielfältig: religiöse oder gesundheitliche Aspekte sowie Bestrebungen für mehr Nachhaltigkeit, Tierwohl oder Klimaschutz. Meist werden die gesundheitlichen Vorteile einer vegetarischen oder veganen Ernährung vorangestellt, obwohl auch eine mediterrane Kost mit reichlich Anteilen an Fisch, Geflügel, Eiern und Milchprodukten nachweislich mit einer Senkung des Risikos für Herz- und Krebserkrankungen sowie Diabetes mellitus Typ 2 einhergeht.
Um sich bewusst vegan zu ernähren, sei es unverzichtbar, sich damit aktiv auseinanderzusetzen – so Dr. Imke Reese, Ernährungsberaterin und -therapeutin mit dem Schwerpunkt Allergologie: „Es geht nicht darum, was nicht mehr auf dem Teller liegen soll, sondern darum, was alternativ gegessen werden muss, um alle lebenswichtigen Nährstoffe in ausreichender Menge zu erhalten.“ Zu ihr kommen vermehrt Jugendliche, die aus Klimaschutzgründen auf rein pflanzliche Ernährung wechseln, aber auch Eltern, die ihre Kinder vegan ernähren wollen. „Leider ist den wenigsten wirklich klar, wie viel Wissen dafür erforderlich ist.“ Gemeinsam mit weiteren Mitgliedern der Arbeitsgruppe Nahrungsmittelallergie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie (DGAKI) hat Reese das Positionspapier „Vegane Kostformen aus allergologischer Sicht“ veröffentlicht. Auf rund 30 Seiten werden dort aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zur veganen Ernährung, der adäquaten Eiweißversorgung, den Risiken durch Versorgungslücken an Proteinen und Mineralstoffen sowie eine Bewertung von pflanzenbasierten Ersatzprodukten aufgeführt. „Immer mehr Menschen machen sich Gedanken, wie sie mit ihrem Ernährungsverhalten einen persönlichen Beitrag für Klima und Umwelt leisten können“, erklärt Professorin Dr. med. Margitta Worm, Präsidentin der DGAKI und ebenfalls Autorin des Positionspapiers, „aber das darf nicht zulasten der eigenen Gesundheit gehen.“
Vegane Ernährung erfordert fundiertes Wissen und Zeit
Um einer Mangelernährung vorzubeugen, müssen bei veganer Ernährung täglich Hülsenfrüchte, vor allem Soja, Nüsse und Ölsamen sowie Gemüse, allen voran Kartoffeln, und Vollkornprodukte auf dem Speiseplan stehen. Die schlechtere Eiweißqualität pflanzlicher Lebensmittel kann bedingt durch größere Verzehrmengen ausgeglichen werden. Dies verursacht aber eine höhere Energieaufnahme und damit das Risiko für Übergewicht. Das Positionspapier enthält den beispielhaften Tagesplan für einen Erwachsenen. „Allerdings lässt sich das nicht einfach auf ein Kind übertragen“, warnt Reese. Für Säuglinge und Kleinkinder seien die erhöhten Mengen an veganer Kost, die sie zu sich nehmen müssten, gar nicht realisierbar. Zudem fehle es Ersatzprodukten häufig an der nötigen Menge an hochwertigem Eiweiß, Calcium, Jod und wichtigen anderen Nährstoffen. „Durch meine Arbeit mit allergischen Kindern weiß ich, wie schwer es ist, für Kuhmilch eine adäquate Alternative zu finden. Bei längerer Kuhmilchmeidung drohen Wachstumseinschränkungen und schlechter mineralisierte Knochen. Diese Risiken werden von Eltern leider komplett unterschätzt.“
Auch wenn die Industrie auf die große Nachfrage nach veganen Produkten reagiert, liegt gerade hier ein weiteres Risiko – vor allem für Allergiker. „Nur weil ‚vegan‘ auf der Verpackung steht, bedeutet dies nicht, dass sich keinerlei tierisches Eiweiß darin befindet“, so Professorin Worm. „Die Deklaration bezieht sich auf die Zutaten, nicht auf produktionsbedingte unbeabsichtigte Einträge.“ Patienten, die auf tierische Allergieauslöser reagieren, sollten sich daher nicht auf vegan ausgezeichnete Lebensmittel verlassen. Pflanzenbasierte Alternativen greifen auf Weizen, Soja, Erdnüsse, Lupine, Erbse, Bockshornklee, Cashew, Haselnuss, Sesam oder Hanf zurück. „Diese beinhalten natürlich alle ihr eigenes Potenzial, allergische Reaktionen auszulösen“, ergänzt Reese. Auch darauf geht das Positionspapier ausführlich ein.
Nicht zuletzt werden viele vegane Produkte einem so starken Herstellungsprozess unterzogen, dass die Qualität der Gesamternährung darunter leidet und die Vorteile, die mit einer pflanzenbetonten Ernährung assoziiert werden, verschwinden. „Eine traditionelle vegane Ernährung, in der mit hochwertigen Produkten selbst gekocht wird, kann funktionieren, benötigt aber fundiertes Wissen und Zeit“, so Ernährungsberaterin Reese, „eine rein vegane Ernährung hat für viele Menschen Grenzen, deren sie sich bewusst sein müssen.“
Positionspapier:
Reese I, Schäfer C, Ballmer-Weber B et al.: Vegane Kostformen aus allergologischer Sicht – Positionspapier der Arbeitsgruppe Nahrungsmittelallergie