Den Alltag mit Neurodermitis zu meistern, ist für viele der betroffenen Kinder und Jugendlichen eine Kraftanstrengung. Die entzündlichen Ekzeme und der quälende Juckreiz sind nicht nur eine körperliche Belastung. Sie haben auch Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl und das gesamte Gefühlsleben. Junge Patienten nehmen dies allerdings oft anders wahr, als Erwachsene vermuten.
Einfach die Kapuze über den Kopf ziehen und abtauchen. Denn es nervt – die Blicke, die Kommentare, die ausgesprochenen und unausgesprochenen Fragen. Und auch das Gefühl, ständig unter Beobachtung der Eltern zu stehen. Außerdem ist da noch die eigene Unsicherheit. Heute mag die Haut ganz okay aussehen, in ein paar Tagen kann das schon wieder anders sein. Dann hat man die Kratzattacken plötzlich nicht mehr im Griff und fühlt sich einfach nur „mütend“.
Viele junge Neurodermitispatienten kennen diese Gefühlslage. Dabei ist der Leidensdruck nicht allein von den aktuellen Ausprägungen der Hautsymptome abhängig. Es spielt vieles zusammen, was die chronische Erkrankung so belastend macht und das Wohlbefinden beeinträchtigt. In diesem Zusammenhang fällt immer wieder der Begriff der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (gLQ). Man versucht damit, das subjektive Wohlbefinden hinsichtlich verschiedener Lebensbereiche zu erfassen. Auf diese Weise sollen sowohl körperliche als auch psychische und soziale Aspekte der Krankheitslast berücksichtigt werden und in individuelle Behandlungsmaßnahmen einfließen (s. Infokasten).
Es wundert nicht, dass die gesundheitsbezogene Lebensqualität bei Kindern und Jugendlichen mit chronischen Erkrankungen niedriger ausfällt als bei gesunden Altersgenossen. Im Rahmen der Langzeitstudie des Robert Koch-Instituts zur Kinder- und Jugendgesundheit in Deutschland (KIGGS Welle 2) wurde dies u. a. auch bezüglich Neurodermitis untersucht und statistisch ausgewertet. Der Vergleich zwischen Kindern und Jugendlichen mit und ohne Neurodermitis zeigt deutlich erkennbare Unterschiede, was das körperliche und psychische Wohlbefinden sowie das schulische Umfeld betrifft.
Was ist das Schlimmste an Neurodermitis?
Doch was sind nun die größten Belastungen für Kinder und Jugendliche mit Neurodermitis? Ist es die Scham, das Anderssein, das Gefühl, ausgegrenzt zu werden? Oder ist es der unerträgliche Juckreiz, der einen nicht zur Ruhe kommen lässt, zu Schlafstörungen führt und sich auf Aufmerksamkeit und Leistungsfähigkeit in der Schule auswirkt?
Diesen Fragen ist eine internationale Studie nachgegangen. Das Besondere hieran: Nicht nur die betroffenen Heranwachsenden wurden zu ihrem Befinden befragt, sondern auch deren Eltern und Ärzte gaben ihre Einschätzungen. Dabei zeigte sich: Die jungen Patientinnen und Patienten bewerten die alltäglichen Belastungen durch die Erkrankung oftmals ganz anders als die betreuenden Erwachsenen. Bei den Betroffenen liegen sowohl in der Altersgruppe der 6- bis 11-Jährigen als auch bei den 12- bis 17-Jährigen Schlafstörungen auf Platz eins, gefolgt von Schamgefühlen aufgrund des schlechten Hautbildes. Unter den teilnehmenden Ärzten ist die Wahrnehmung insbesondere mit Blick auf die jugendlichen Patienten eine ganz andere: Aus ihrer Sicht stehen Schlafstörungen nicht einmal auf Platz drei der schwerwiegendsten Symptome. Sie sehen Schamgefühle und die Außenseiterrolle als vorrangige Probleme (s. Grafik).
Studienautor Professor Dr. Stephan Weidinger von der Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie der Universität Kiel sieht diese Ergebnisse durchaus kritisch: „Es gibt eine Wahrnehmungslücke bei der atopischen Dermatitis.“ Und die hat Auswirkungen sowohl, was das Verständnis für die betroffenen jungen Patienten anbelangt, als auch hinsichtlich der Kommunikation miteinander. Sein Tipp für die behandelnden Ärzte: „Manchmal ist es hilfreich, mit den Teenagern und ihren Eltern jeweils für ein paar Minuten alleine zu sprechen.“ Außerdem plädiert er dafür, bei Bedarf psychologischen Rat einzuholen. „Sowohl Eltern als auch Kinder haben häufig Schuldgefühle. Die Eltern, weil sie ihren Kindern die Veranlagung zur Neurodermitis vererbt haben; die Kinder, weil sie durch ihre Krankheit die ganze Familie in Mitleidenschaft ziehen.“ Solche seelischen Nöte können den Krankheitsverlauf, aber auch das Miteinander in der Familie beeinträchtigen und sollten ausgeräumt werden.
Gesundheitsbezogene Lebensqualität
Die gesundheitsbezogene Lebensqualität umfasst mehrere Dimensionen des Wohlbefindens.
- Körperliches Wohlbefinden – wie belastend sind die Symptome?
- Emotionales Wohlbefinden – wie wirkt sich die Krankheit auf die Stimmung aus?
- Mentales Wohlbefinden – wie wirkt sich die Krankheit auf Konzentrationsfähigkeit und geistige Leistungsfähigkeit aus?
- Soziales Wohlbefinden – wie wirkt sich die Krankheit auf zwischenmenschliche Kontakte und das Sozialleben aus?
- Verhaltensbezogenes Wohlbefinden – wie sehr schränkt die Krankheit den Alltag (z. B. Beruf, Schule, Sport) ein?
Die gesundheitsbezogene Lebensqualität ist eine subjektive Wahrnehmung. Die Persönlichkeit und die Wesensmerkmale des Patienten haben wesentlichen Einfluss darauf. Auch die persönlichen Lebensumstände und -bedingungen sowie die Schwere der Krankheit und therapeutische Maßnahmen spielen eine Rolle.
Das Messen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität erfolgt üblicherweise mittels standardisierter Fragebögen, die krankheitsübergreifend oder auch krankheitsspezifisch sein können. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse können u. a. wichtig sein, um bei der Therapieplanung den Bedürfnissen des Patienten bzw. der Patientin gerecht zu werden. Ebenso werden diesbezügliche Veränderungen im Verlauf der Therapie zur Kontrolle des Behandlungserfolgs herangezogen.
Kinder und Jugendliche gehen anders mit ihrer Neurodermitis um, als Erwachsene vermuten
Die Befragung der Kinder und Jugendlichen hat auch ergeben, dass viele von ihnen eigene Strategien zum Umgang mit der Erkrankung entwickelt haben. Das kann bedeuten, dass sie bei einem Krankheitsschub oder schlimmen Juckreizattacken lieber allein sein wollen. Manche möchten auch von ihren Eltern nicht ständig auf ihre Erkrankung angesprochen werden. Dieses Bedürfnis sollten Eltern bei aller Fürsorge respektieren. Ein weiterer Hinweis zum besseren Verständnis: Gerade jüngere Kinder leben im Hier und Jetzt. Sie machen sich, anders als ihre Eltern, weniger Gedanken über ihre Zukunft oder mögliche Probleme. Das heißt, solange sie keine schlechten Erfahrungen gemacht haben, fürchten sie erst mal nicht, wegen der Neurodermitis gemobbt zu werden. Auch mögliche Einschränkungen für das spätere Berufsleben haben sie nicht auf dem Plan, so dass dadurch zunächst keine Belastung für sie entsteht. Betroffenen Eltern rät Weidinger daher, die eigenen Zukunftssorgen bezüglich der Neurodermitis nicht mit den Kindern zu besprechen. „Man muss Kinder ihre eigene Version von ‚normal‘ finden lassen“, ergänzt Korey Copazza, Mitautorin der Studie und Gründerin der Global Parents for Eczema Research in den USA. Sie hat ein paar weitere Tipps, um Anspannungen innerhalb der Familie zu vermeiden. So ist z. B. die Aufforderung „Hör auf zu kratzen!“ wenig hilfreich. Eltern sollten sich klar machen, dass die Kinder oft gar nicht aufhören können. Werden sie jedoch ständig darauf hingewiesen und getadelt, entwickeln sie Schuldgefühle. Da, wie die Studie zeigt, die Wahrnehmung der Krankheit recht unterschiedlich ist, sind auch Aussagen wie „Heute siehst du aber gar nicht gut aus“ oder „Heute fühlst du dich sicher gar nicht gut“ unpassend. Denn manchmal fühlen sich die Kinder und Jugendlichen in diesem Moment gar nicht schlecht. Durch solche Bemerkungen rückt die Krankheit dann allerdings wieder in den Mittelpunkt.
Je älter die Kinder werden, desto wichtiger wird es, ihre Eigenverantwortung zu schulen. Eltern sollten ihre Kinder dabei unterstützen, mit der Neurodermitis selbst klarzukommen. Teenager müssen und werden selbst herausfinden, welche Faktoren die Krankheit verschlimmern und deshalb besser vermieden werden, was ihnen guttut oder welche Behandlungsmaßnahmen am besten helfen. Hier sind auch die behandelnden Ärzte gefragt. Sie sollten bei der Therapieplanung mit den Jugendlichen z. B. auch über die verschiedenen Aspekte der Lebensqualität sprechen. „Das Management der Neurodermitis ist heute schon viel leichter durch die neuen Medikamente, die in den letzten Jahren entwickelt wurden. Darum können wir heute über die psychosozialen Aspekte sprechen“, so Amy Palle. Die Professorin für Dermatologie und Pädiatrie, die in Chicago, USA, tätig ist, hat ebenfalls an der Studie mitgewirkt. Sie weiß allerdings: „Viele Ärztinnen und Ärzte sind nicht darauf trainiert, mit Jugendlichen zu kommunizieren.“
Was sind die größten Auswirkungen von Neurodermitis auf die Lebensqualität?
Die befragten jungen Patienten, ihre Eltern und Ärzte haben hier durchaus unterschiedliche Wahrnehmungen und Einschätzungen. So sehen die Top 3 der Belastungen für die jeweilige Gruppe aus:
Altersgruppe der Betroffenen:
6–11 Jahre
Altersgruppe der Betroffenen:
12–17 Jahre
Weidinger S et al.: Relative importance of distinct aspects of quality of life for patients aged 6–11 and 12–17 years with atopic dermatitis, caregivers, and physicians (AD-GAP). [Poster]. EADV, 29 Sept 2021. Virtual.
Informationen der Deutschen Haut- und Allergiehilfe
In unsere Broschüre „Unser Kind hat Neurodermitis – Gemeinsam den Alltag meistern“ haben wir in verschiedenen Themenblöcken Empfehlungen und praktische Tipps zum Leben mit Neurodermitis zusammengestellt. „Wie schaffen wir den Spagat zwischen Fürsorge und Loslassen?“, „Inwieweit thematisieren wir die Erkrankung in Kindergarten und Schule?“, „Was können wir tun, um Ekzemschübe möglichst zu verhindern?“ – das sind nur einige der Fragen, die ausführlich unter der Überschrift „Hilfen im Alltag“ beantwortet werden. Die Broschüre kann kostenfrei angefordert oder im Internet heruntergeladen werden: DHA e.V., Heilsbachstraße 32, 53123 Bonn, www.dha-neurodermitis-behandeln.de.