Baby-led Weaning - Fingerfood statt Brei

Ernährung von Kindern

Die englische Stillberaterin und Hebamme Gill Rapley propagiert ein Konzept zur Beikosteinführung bei Kindern, das unter dem Namen „Baby-led Weaning“ in Elternforen, Zeitschriften und sozialen Medien eifrig diskutiert wird. Gemeint ist damit die vom Baby selbst gesteuerte Entwöhnung von der Muttermilch. Es gibt viele Befürworter, die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin empfiehlt das Baby-led Weaning hingegen nicht.

Kinder mit erhöhtem Allergierisiko sollten ab dem fünften Lebensmonat Beikost bekommen – auch potenziell allergieauslösende Lebensmittel wie Hühnerei oder Fisch. Mit Babybrei ist das kein Problem. Doch funktioniert das auch beim sogenannten Baby-led Weaning, bei dem die Kinder von Anfang an selbstbestimmt essen?

Selber essen, was schmeckt

Manche Eltern schwören aufs Baby-led Weaning. Dabei werden die Kinder nicht mit Brei gefüttert, sondern essen kindgerechtes Fingerfood, also klein geschnittene feste Nahrung wie gekochte Kartoffeln, weiches Gemüse, Brot oder Obst. Das, so die Idee, soll gesundes Essverhalten fördern und damit das spätere Risiko für Übergewicht und Fettleibigkeit senken.

Keine Empfehlung der Fachgesellschaften

Aus Sicht der kinder- und jugendärztlichen Fachgesellschaften gibt es bislang jedoch keine überzeugenden wissenschaftlichen Belege, die für das Baby- led Weaning sprechen. Im Gegenteil: Nach dem heutigen Wissensstand ist es gut, wenn Kinder zwischen dem Beginn des fünften und dem Beginn des siebten Lebensmonats an die Beikost herangeführt werden. Indem sich das Immunsystem früh mit verschiedenen, auch potenziell allergenen Nahrungsmitteln auseinandersetzt, lernt es, unschädliche von schädlichen Stoffen zu unterscheiden – ein wichtiger Baustein zur Allergievorbeugung.

Beim Baby-led Weaning ist dieses Zeitfenster kleiner, denn die meisten Kinder sind erst mit ungefähr sechs Monaten in der Lage, aufrecht zu sitzen, Häppchen zu greifen und zum Mund zu führen. „Essen will gelernt sein, und zu Beginn landet längst nicht alles im Mund, geschweige denn im Magen“, bemerkt Professor Dr. med. Berthold Koletzko, Leiter der Abteilung Stoffwechsel- und Ernährungsmedizin am Dr. v. Haunerschen Kinderspital des Uniklinikums München.

„So ist es nicht ausgeschlossen, dass die Kinder zu wenig essen und nicht alle notwendigen Nährstoffe in ausreichendem Maße aufnehmen.“

Im ausführlichen Gespräch zum Thema Baby-led Weaning (s. u.) rät Koletzko zu Gelassenheit und Geduld bei der Einführung der Beikost, und empfiehlt, flexibel auf die Bedürfnisse des Kindes zu reagieren. „Seit unzähligen Generationen nehmen Säuglinge irgendwann den Löffel selbst in die Hand oder schnappen sich einen Happen vom Teller des Geschwisterkindes. Man kann vieles ausprobieren und sollte auf die Signale des eigenen Kindes achten.“

Ernährungsempfehlungen für allergiegefährdete Kinder

Welche Ernährung brauchen Babys und Kleinkinder mit erhöhtem Allergierisiko? Diese und weitere Fragen beantwortet die Broschüre „Allergien vorbeugen. Gesunde Entwicklung fördern“, postalisch oder online kostenlos erhältlich bei der Deutschen Haut- und Allergiehilfe e.V., Heilsbachstraße 32, 53123 Bonn, www.dha-allergien-vorbeugen.de.

Experteninterview

Baby-led Weaning auch für allergiegefährdete Babys?

Die Deutsche Haut- und Allergiehilfe sprach mit Professor Dr. med. Berthold Koletzko, Leiter der Abteilung Stoffwechsel- und Ernährungsmedizin am Dr. v. Haunerschen Kinderspital des Uniklinikums München, über das Prinzip des Baby-led Weaning und mögliche Risiken dieser Ernährungsform für allergiegefährdete Kinder.

Können Sie kurz erklären, was hinter dem Konzept des Baby-led Weaning steckt?

Professor Koletzko: Das Konzept des sogenannten Baby-led Weaning propagiert, dass Säuglinge von Allergie Beginn der Beikostfütterung an ausschließlich stückige Nahrung mit der eigenen Hand zum Mund führen und damit selbstständig essen sollen. Auf die Löffelfütterung von breiiger Kost soll völlig verzichtet werden. Vielfach wird auch empfohlen, dass Säuglinge aus verschiedenen angebotenen Nahrungsstücken selbst auswählen sollten. Damit wird die Erwartung verbunden, dies senke das spätere Risiko für ein problematisches Essverhalten sowie für Übergewicht und Adipositas.

Allerdings können die aktuell verfügbaren Daten diese Erwartung nicht bestätigen, wie u. a. auch neue Übersichtsarbeiten von Nazareth Martinón-Torres und Mitarbeitern (2021) und Wei Wei Pang und Mitarbeitern (2021) zeigen. Die italienische Gesellschaft für Kinderheilkunde hat die verfügbaren Studien zum Baby-led Weaning systematisch erfasst. Hier wird auf Beobachtungsstudien von niedriger methodischer Qualität mit fehlenden objektiv erfassten Ergebnissen verwiesen. Insgesamt liegen kaum belastbare Informationen zu Wirkung und Sicherheit vor. Dagegen besteht erhebliche Besorgnis, dass eine spätere Beikosteinführung und eine zu geringe oder zu einseitige Nahrungsaufnahme den mit dem Alter stark ansteigenden Nährstoffbedarf nicht angemessen decken kann. Vor diesem Hintergrund geben die kinder- und jugendärztlichen Fachgesellschaften in vielen Ländern und auch in Deutschland keine Empfehlung für das Baby- led Weaning.

Viele Eltern, die Baby-led Weaning für sich entdeckt haben, sind begeistert von den entspannten Mahlzeiten und berichten von einer positiven Entwicklung ihrer Kinder. Welche Vorteile sehen Sie im Vergleich zur traditionellen Vorgehensweise mit Brei?

Professor Koletzko: Viele Eltern sind beeindruckt von den mit dieser Fütterungsmethode verbundenen Versprechen. Und natürlich ist es wunderbar zu erleben, wie das eigene Kind motorische Fortschritte macht und es schafft, Lebensmittel in die Hand zu nehmen und selbst in den Mund zu bringen. Das ist aber seit unzähligen Generationen selbstverständliche Praxis bei der Beikostfütterung. Säuglinge erhalten Brei mit dem Löffel, mit der Zeit nehmen sie den Löffel auch selbst in die Hand, und sie nehmen auch Stücke von Obst oder anderen Lebensmitteln selbst in die Hand und in den Mund.

In den Leitlinien zur Allergieprävention bei Kindern mit erhöhtem Allergierisiko wird empfohlen, nach dem 4. Lebensmonat mit dem Einführen der Beikost zu beginnen. Die meisten Kinder sind jedoch frühestens ab dem 6. Lebensmonat so weit, dass sie Fingerfood greifen und zum Mund führen können. Wie beurteilen Sie diese spätere Einführung der Beikost unter dem Gesichtspunkt der Allergieprävention?

Professor Koletzko: Die 2021 veröffentlichten neuen europäischen Leitlinien empfehlen die Beikosteinführung ab dem Beginn des 5. Lebensmonats zur Prävention von Nahrungsmittelallergien. Auch die gerade veröffentlichten neuen deutschen Leitlinien zur Allergieprävention empfehlen die Beikosteinführung im Zeitfenster zwischen dem Beginn des 5. und dem Beginn des 7. Lebensmonats. Wichtig ist: Die durchgeführten kontrollierten Studien zeigen die Bedeutung einer nennenswerten regelmäßig zugeführten Menge von Lebensmitteln mit potenziell allergenen Inhaltsstoffen für den Präventionseffekt. Mit dem Baby-led Weaning werden solche allergenen Lebensmittel wie z. B. Hühnerei, Fisch oder Kuhmilchprotein unter Umständen jedoch nicht nur deutlich später, sondern auch nur in weitaus geringerer Menge eingeführt, was unter dem Gesichtspunkt der Allergieprävention nachteilig erscheint.

Was raten Sie jungen Familien, die das Baby-led Weaning gern ausprobieren möchten?

Professor Koletzko: Wünschen möchte ich Familien eine gewisse Gelassenheit und Geduld bei der Beikosteinführung und -fütterung, ohne sich dogmatisch nur auf eine Option festzulegen. Man kann vieles ausprobieren und sollte auf die Signale des eigenen Kindes achten. Der Beginn der Löffelfütterung mit breiiger Kost macht die Beikosteinführung meist einfacher und lässt sich prima mit schrittweise angebotenen Stücken von weichem Obst, Gemüse oder anderen Lebensmitteln kombinieren, bis das Kind im 2. Lebensjahr fast alles vom Familientisch probieren kann.

Leitlinien Allergieprävention bei Kindern: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/061-016.html

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